In großer Sorge melden sich Mauthausen-Überlebende zu Wort

Eindringliche Warnung vor Nationalismus und Rechtsextremismus an die österreichische Bundesregierung von KZ-Überlebenden aus verschiedenen Ländern der Welt

In großer Sorge melden sich jetzt die Überlebenden des nationalsozialistischen Konzentrationslagers Mauthausen und seiner Außenlager zu Wort. Österreichs nunmehrige Regierung veranlasst sie zu einer eindringlichen Warnung vor Nationalismus und Rechtsextremismus, besonders wegen fremdenfeindlicher Tendenzen im Regierungsprogramm und zahlreicher einschlägiger Vorfälle in der FPÖ. Sie sind älter als 85 Jahre und senden ihren Appell aus verschiedenen Ländern weltweit.

Worte der KZ-Überlebenden aus verschiedenen Ländern der Welt an die österreichische Bundesregierung (Download aller Statements mehrsprachig):

Aba Lewit (Österreich; Mauthausen, Gusen, Häftlingsnummer: 85309; 94 Jahre):
"Ich denke, dass sich Österreich in derselben Situation wie 1934 und auf dem weiteren Weg zu 1938 befindet. Das Einzige, was beim jetzigen Programm fehlt, sind Gaskammern. Für mich ist die Koalition mit der rechtsextremen FPÖ eine gespielte Demokratie und eine Gefahr für Österreich."

Allessandro SCANAGATTI (Italien; Mauthausen Häftlingsnummer: 126425; 90 Jahre):
"Mein Name ist Alessandro Scanagatti, am 6. Oktober 2017 bin ich 90 Jahre alt geworden. Von 5. Februar bis 5. Mai 1945 musste ich im Konzentrationslager Mauthausen tote Kameraden ins Krematorium transportieren. Ich sah hunderte, tausende Tote in diesen drei Monaten. Ich lese in der Presse, dass in der neuen österreichischen Regierung sich öffentlich als rassistisch bekennende Parteien sind, die gegen Ausländer sind und Juden und Andersdenkende ausgrenzen. Ich bitte die österreichische Regierung – und das ist in meinen Augen ihre Pflicht! - sich offen zum «Mauthausen Schwur» zu bekennen: in der Tat sind meine Freunde für diese Werte von Brüderlichkeit und Freundschaft unter allen Völkern gestorben."

Anatoly MALEWANNY (Russische Föderation, St. Petersburg; Mauthausen, Häftlingsnummer: 76679; 90 Jahre):
"Ich wünsche der österreichischen Regierung alles Gute. Wir wissen, dass die österreichische Regierung normalerweise sich um die früheren KZ-Häftlinge gekümmert hat und Gedenkarbeit leistet. Wir wünschen uns, dass diese Gedenkarbeit an die früheren KZ-Insassen so weit wie möglich weitergeht. Das wäre für uns ein wichtiges Symbol für unsere gemeinsame Freiheit und unseren gemeinsamen Sieg."

Armando GASIANI (Italien; Mauthausen, Häftlingsnummer : 115523; 91 Jahre) :
"Mein Name ist Armando Gasiani. Ich werde am 27. Januar 91 Jahre alt. Am 11. Januar 1945 wurde ich im KZ Mauthausen interniert und dem Bergkristall von Gusen zugeordnet, Immatrikulation Nr. 115523. Ich habe die Befreiung des Lagers überlebt, aber viele meiner Genossen, einschließlich meines Bruders Serafino, sind gestorben. Aus Respekt vor diesen Toten und Leidenden bitte ich die österreichische Regierung, die ich respektiere, nichts gegen den Eid von Mauthausen, Frieden, Freiheit und Koexistenz unter den Völkern zu tun.
Wir Ex-Deportierten bitten Sie, die Erinnerung an das, was passiert ist, zu schützen, denn: Verzeihen kann man, vergessen nicht!"

Daniel CHANOCH, Shlomo GALPEREN, Shaul SPIELMANN, Yehuda GURVITZ (Israel; Mauthausen, Melk, Gunskirchen, Häftlingsnummern 124805, 124837, 118298, 124861; 85, 86, 86, 87 Jahre):
"Wir haben mehrere Konzentrationslager überlebt, darunter Mauthausen und Gunskirchen - die Hölle auf Erden! Unsere Solidarität gilt dem Fest der Freude und den Befreiungsfeiern, bei denen wir jedes Jahr im Mai gemeinsam mit Österreicherinnen und Österreichern der Opfer gedenken und das Ende des Naziterror-Regimes feiern.
Immer - aber insbesondere jetzt mit der neuen österreichischen Regierung – müssen wir als KZ-Überlebende alle Menschen zur Wahrung der Erinnerung auffordern (warnen). Wir müssen unsere Vergangenheit kennen und unsere weiteren Handlungen darauf aufbauen."

Dušan STEFANČIČ (Slowenien; Mauthausen, Häftlingsnummer: 91272;90 Jahre):
"Ich trat bereits als Schüler im Frühjahr 1943 in die slowenische Widerstandsbewegung OF – Osvobodilna Fronta – Freiheitsfront Slowenien ein. Im Jänner 1944 wurde ich deswegen verhaftet und nach drei Wochen in das KZ Dachau (Häftlingsnummer 63849) deportiert. Nach kurzer Zeit wurde ich nach Markirch in ein Nebenlager des KZ Natzweiler im nun besetzten Frankreich transportiert, um dort in einem stillgelegten Eisenbahntunnel (Häftlingsnummer 8482) mit etwa 1000 anderen Häftlingen Zwangsarbeit für BMW zu verrichten.Ende Juni 1944 wurde ich ins Stammlager Natzweiler verlegt und im August ins KZ Mauthausen (Häftlingsnummer 91272), gültig auch für das KZ Gusen und Gusen ll, wo ich anschließend hin kam und wo ich dann unter wirklich unmenschlichsten Zuständen in der Rüstungs- und Flugzeugproduktion arbeitete.
Nach Ende des Krieges kehrte ich in meine Heimat zurück und absolvierte (studierte) dann das Rechtsstudium an der Universität von Ljubljana. Ich übte meinen nunmehrigen Beruf als Diplomjurist mit Erfolg in verschiedensten Bereichen der Industrie, im Bank- und Finanzwesen aus und war dann lange Jahre leitender Direktor eines großen Handelskonzernes in Indien. Erst 1991 kehrte ich nach Ljubljana zurück. Ich bin heute aktives Präsidiumsmitglied des Slowenischen Verbandes der Kriegsveteranen und Widerstandskämpfer. Ich koordiniere die slowenischen Deportierten-Organisationen der ehemaligen Lager in Deutschland, Italien, Ungarn und Kroatien. Ich bin Präsident des Slowenischen Mauthausen Komitees und war auch Präsident des Comité International de Mauthausen, dessen Ehrenpräsident ich nun mehr bin.
Bereits ab 1946 begannen die Befreiungsfeiern im ehemaligen KZ Mauthausen und werden seit dieser Zeit vom Comité International de Mauthausen und der Österreichischen Lagergemeinschaft Mauthausen und anschließend seit Jahren als deren Nachfolgeorganisation dem Mauthausen Komitee Österreich, veranstaltet. Aus gutem Grund, insbesondere der persönlichen Erfahrungen und der Gefahr einer Wiederholung der damaligen Gräueltaten, wurden zu den Mauthausen -Befreiungsfeiern daher niemals rechtsgerichtete Personen, Organisationen bzw. Parteien eingeladen.
Die derzeitige österreichische Bundesregierung ist daher gut beraten, auf ihre demokratische Zusammensetzung zu schauen und dabei insbesondere auf den Verantwortungsbereich des ehem. KZ Mauthausen zu achten.
An die 200.000 Menschen aus 72 Nationen waren im NS Lagerkomplex Mauthausen inhaftiert und rund die Hälfte dieser Menschen wurden dort zu Tode gebracht. Zusammenfassend ist zu sagen: "Wer die Vergangenheit vergisst, den holt die Zukunft ein".

Ennio TRIVELLIN (Italien; Häftlingsnummer: 110425):
"73 Jahre nach Kriegsende scheint es mir, dass sich in Österreich eine rechtsextreme Politik anbahnt, fast auf den Spuren des Nazifaschismus.
Der erste Schritt: Man macht das Abkommen De Gasperi-Gruber zur Makulatur, indem man ankündigt, einen Pass für die Südtiroler einführen zu wollen. Eine Ankündigung, die die Würde Italiens verletzt und das Gegenteil der Absicht ist, ein wahres Europa auf dem Respekt der verschiedenen Sprachen und Traditionen aufzubauen, ein Traum all jener, die den Krieg überlebt haben.
In Anbetracht dieser Provokation bleibt in diesem Moment nur die nachdenkliche Feststellung, dass der Tod von Millionen Europäern in den Konzentrationslagern noch keinen europäischen Bürger hervorgebracht hat. Ich erhebe meine Stimme zu einem Protestruf."

Eugenius SLIWINSKI (Polen; Mauthausen, Gusen, Steyr, Häftlingsnummer: 22647; 94 Jahre):
"Ich war einer von den hunderttausend Inhaftierten und für die Menschenvernichtung bestimmten Menschen aus ganz Europa. Mein Name ist Eugeniusz Sliwinski. In diesem Jahr werde ich 95 Jahre alt. Im September 1942 wurde ich von der Gestapo verhaftet und infolgedessen in das Konzentrationslager Mauthausen und drei Monate später in das Konzentrationslager Gusen transportiert. Dort wurde ich für die Arbeit im Steinbruch zugewiesen, und bis zur Befreiung am 05.05.1945 habe ich in der Steyrer Fabrik gearbeitet.
Unsere Träume, die Träume der Sklaven des Nazi-Systems, waren, dass eine Zeit kommt, die frei von jeglichem nationalen, rassistischen und religiösen Druck wäre. Dass es niemals mehr solch unerhörte kulturelle und soziale Unterschiede geben wird, wie sie im diktatorischen System stattgefunden haben.
Wir, die ehemaligen Gefangenen, erwarten von der österreichischen Regierung, dass sie diese tragischen Ereignisse respektiert und Menschen niemals ausgrenzt. Wir haben vergeben, aber wie werden es nie vergessen!"

Igor MALITSKI (Ukraine, Kharkiv; Auschwitz, Mauthausen; Häftlingsnummern: 78437, 188005; 93 Jahre):
"Ich bin Igor Malitski, geb. 1925, am 12. Februar werde ich 93 Jahre alt. Mein Vater Fjodor Malitski wurde 1938 vom stalinistischen Regime repressiert. Im Jahr 1943 wurde ich vom NS-Regime zur Zwangsarbeit ins "Deutsche Reich" deportiert. In Tschechien versuchte ich zu flüchten. Dafür wurde ich im Gefängnis Kladno eingesperrt, dann wurde ich ins KZ Theresienstadt deportiert, vom Mai 1944 war ich im KZ Auschwitz (Nr. 78437), ab August 1944 in Mauthausen (Nr. 188005), und vom Dezember 1944 im Außenlager KZ Mauthausen Linz-3. Ich blieb am Leben, aber viele meiner Gefängnisgefährten überlebten nicht bis zur Befreiung.
Ich weiß aus eigener Lebenserfahrung, was entsteht, wenn in einem Land begonnen wird, Rechte von Menschen einzuschränken, und wenn Xenophobie und Antisemitismus Teil der staatlichen Politik zu werden drohen. Deswegen bitte ich die österreichische Regierung, den Schutz der Freiheit, des Friedens und der Solidarität unter den Völkern zu bewahren. Und man darf nicht zulassen, dass in der Staatsregierung rechtsextreme Politiker sind."

Marko FEINGOLD (Österreich; Auschwitz, Neuengamme, Dachau, Buchenwald; Häftlingsnummern: 11966, 4725, 25675, 8448; 104 Jahre):
"Mein Name ist Marko Feingold, geb. 1913, in einigen Monaten werde ich 105 Jahre alt. Ich wurde als erster Österreicher 1940 in das KZ Auschwitz deportiert, nach dieser Hölle habe ich auch noch das KZ Neuengamme bei Hamburg, das KZ Dachau und das KZ Buchenwald von innen kennengelernt und wurde am 11. April 1945 von den Amerikanern befreit. Der Tod war in dieser Zeit mein ständiger Begleiter, ob als Mangel an Nahrung oder an unmenschlichen Arbeitsbedingungen oder durch Versuche der Ärzteschaft oder durch das Aufsichtspersonal, das uns nicht als Menschen, sondern nur als Nummer wahrnahm. Es waren immer nur Zufälle, die mich am Leben hielten. Meinen Vater, meine zwei Brüder und meine Schwester habe ich nie wieder gesehen.
Ich wünsche mir von allen Regierungsmitgliedern, dass sie unsere demokratischen Werte wie Frieden und Freiheit sowohl in Österreich als auch in unserer größeren Heimat Europa mit allen in ihrer Macht stehenden Mittel verteidigen und auch vorleben und dass es niemals mehr zu solchen Zuständen kommen kann, wie ich sie von 1938 bis 1945 erleben musste."

Maurice BERDAL (Belgien; Gusen, Häftlingsnummer: 99653; 94 Jahre):
"Ich war knapp 20 Jahre alt, als ich am 16. September 1944 ins (Exterminierungs) Vernichtungslager Mauthausen, Kommando Gusen 2 eingeliefert wurde. Ich hatte mich geweigert, beim Obligatorischen Arbeitsdienst (S.T.O) in deutschen Fabriken anzutreten, und musste deshalb untertauchen und war im geheimen Widerstand tätig. Ich wurde bei einer Mission von der Gestapo erwischt und sehr harschen Verhören ausgeliefert. Ich kam auf Transport – der letzte Transport nach Mauthausen! – und in die Stollen von Gusen 2, wo ich schwer gelitten habe.
Als wir im Mai 1945 befreit wurden, haben frühere Insassen des KZ Mauthausen einen Schwur geleistet, an den wir uns ein Leben lang gehalten haben. Ich bin der einzige noch lebende Belgier und empfinde es als meine Pflicht dafür zu sorgen, dass diese Werte, für die wir unser Leben eingesetzt haben, respektiert werden. Mein Wunsch an die neue österreichische Regierung (den Kanzler sowie die Minister der Rechten und der Extrem-rechten) ist, dass sie sich den Mauthausen Schwur immer wieder vor Augen führen und alles tun, damit ihr Land in Freiheit, Wohlstand und Freundschaft unter den Völkern leben kann.”

Max R. GARCIA (USA; Mauthausen, Melk, Ebensee, Häftlingsnummer 116739; 93 Jahre):
"Meine Vorfahren lebten in Spanien, bis sie während der Inquisition vertrieben wurden und nach Portugal zogen. Dort lebten sie vier Jahre, bis Königin Isabella von Spanien dem portugiesischen König befahl, die Juden loszuwerden; sie gingen dann in die Neue Welt von Colombus. Nachdem die englische Flotte und die holländische Flotte die Spanische Armada besiegten, haben die Engländer und die Holländer Religionsfreiheit in beiden Ländern ausgerufen; meine Vorfahren haben sich dann in Amsterdam um 1619 niedergelassen und lebten vier Jahre in Holland in Frieden and Ruhe – bis zur Ankunft Hitlers.
Mit Hitler kamen die Todeskommandos, die meine jüngere Schwester verhafteten und sie ins KZ Auschwitz-Birkenau schickten, wo sie mit 16 ermordet wurde; meine Eltern wurden am 16. Juli 1943 im Todeslager Sobibor in Polen ermordet, genau wie meine Tanten, Onkel, Neffen und Nichten. Ich bin DER EINZIGE Überlebende!! Ich überlebte das KZ Auschwitz, einen Todesmarsch, sowie die KZs Mauthausen, Melk und Ebensee, wo ich am 6. Mai 1945 befreit wurde.
Ich appelliere an den neuen österreichischen Bundeskanzler: Tragen Sie Sorge dafür, dass Österreich nicht wieder der Staat wird, der er von 1934 bis 1945 war. Tragen Sie Sorge dafür, dass es in der Österreichischen Regierung keinen Platz gibt für Antisemitismus, Rassismus oder Rechtsextremismus."

Das Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ), das im Jahr 2000 das Vermächtnis der Mauthausen-Überlebenden übernommen hat, sammelte alle Statements von KZ-Überlebenden.

Das Internationale Mauthausen Komitee (CIM) übermittelt in einem offenen Brief einen gemeinsamen Appell der KZ-Überlebenden an Bundespräsident Dr. Alexander Van der Bellen und Bundeskanzler Sebastian Kurz.

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